Die einzige Wahrheit Debattenflucht aus Sorge um Europa: Benedikt XVI.
verschenkte Chancen des Dialogs Von Tariq Ramadan
Acht Jahre hat das Pontifikat von Benedikt XVI. gedauert. Was hat es der Welt gebracht? In einer fünfteiligen Serie analysieren Theologen, Religionswissenschaftler und SZ-Korrespondenten das Erbe Joseph Ratzingers auf unterschiedlichen Kontinenten.
Papst Benedikt XVI. wird keine so markante Spur in der Geschichte hinterlassen wie sein Vorgänger, Papst Johannes Paul II. Letzterer wird im Gedächtnis bleiben wegen seiner Bereitschaft zur Öffnung, zum Dienst an der Menschheit und zum Dialog mit den spirituellen und religiösen Gemeinschaften der Welt. Als Kardinal Ratzinger vor acht Jahren zum Papst gewählt wurde, wusste man, dass er die zentrale Bedeutung des Dogmas, der Glaubensgrundsätze und Regeln der katholischen Kirche hervorheben und betonen würde. Er war bekannt für seine theologische Strenge, die Lehre wie die Praxis betreffend, für seine Kompromisslosigkeit gegenüber anderen christlichen Traditionen und anderen Religionen. Die Kirche ist im Besitz der Wahrheit und muss das immer wieder mit neuer Klarheit, mit neuem Mut artikulieren und bekräftigen: Mit diesem Anliegen, dieser Sorge scheint er das päpstliche Amt angetreten zu haben.
Man darf Benedikt XVI. ein beeindruckendes theologisches Wissen und tiefe, durch Kontemplation gewonnene Einsichten bescheinigen. Er ist katholisch im fundamentalen Sinne, von der Glaubenslehre zutiefst überzeugt und unablässig um Eindeutigkeit und Konsequenz bemüht. Die ersten Jahre seines Pontifikats offenbaren seine Schwächen im Umgang mit der Welt der Kommunikation und der Medien. Benedikt XVI. denkt vom Inneren der Kirche her und artikuliert sich als ein von Texten und Traditionen begeisterter Theologe, und manche seiner öffentlichen Äußerungen tragen den doppelten Stempel katholischer Konsequenz und kommunikativer Unbeholfenheit. Er selbst wie auch seine Berater und Repräsentanten mussten viel Zeit darauf verwenden, Gesagtes zu wiederholen und zu erklären , hier eine Formulierung, dort eine Rede in einen erhellenden Kontext zu stellen. Er war kein Medienpapst, vielmehr ein Papst der Schrift, den die Treue zu den Prinzipien, an die es zu erinnern galt, stärker motivierte als das Bedürfnis, die Herausforderungen der Gegenwart beim Namen zu nennen.
In seinem gewissenhaften Bemühen um Konsequenz vertrat er Positionen, die selbst im Inneren der christlichen Gemeinschaft Anstoß erregten. Für ihn sind die Wahrheit und das einzig wahre Heil außerhalb der katholischen Kirche nicht vorstellbar. Der Dialog mit den Protestanten, der Orthodoxie und anderen christlichen Kirchen wurde zwar als notwendig und positiv empfunden, aber jene Wahrheit durfte darüber nicht vergessen werden. Der Dialog mit den monotheistischen Traditionen der Juden und der Muslime, mit dem Hinduismus und dem Buddhismus wurde mit der gleichen Konsequenz geführt: Diese spirituellen und religiösen Gemeinschaften mögen einen Teil der Wahrheit hüten, aber sie stellen keinesfalls Wege zum Seelenheil dar. Der Dialog kann sich deshalb auf gemeinsame ethische Prinzipien beziehen, auf praktische Perspektiven oder soziale Realitäten, aber er kann niemals die Grundvoraussetzung in Frage stellen, dass allein die katholische Kirche die Wahrheit besitzt und verkörpert. Dadurch wurde der interreligiöse Dialog verkürzt, verzerrt und im Grunde sinnlos.
In diesem Licht muss man auch Benedikts Rede an der Universität Regensburg im Jahr 2006 sehen. Seine Lesart der europäischen Geschichte wird genährt von seinen Befürchtungen im Hinblick auf die Gegenwart. Nach seiner Auffassung sind es zwei Gefahren, die den alten Kontinent bedrohen: die Säkularisierung, die den Glauben ins Abseits drängt, und der Zuzug der Muslime, die durch ihre wachsende Zahl und die Sichtbarkeit ihrer religiösen Praxis der katholischen Kirche als große Herausforderung erscheinen müssen. Mit Nachdruck – sowie einigen Ungeschicklichkeiten und historischen Unschärfen – betonte Papst Benedikt XVI., dass Europa griechische und christliche Wurzeln habe. Die Entscheidung, die Ursprünge Europas allein auf die rationalistische Tradition des Hellenismus und den christlichen Glauben zurückzuführen, entsprang der Absicht, die europäische Identität zu festigen. Diese lässt sich gewiss nicht definieren ohne die Synthese von griechischer Vernunft und christlichem Glauben, doch andere Traditionen, insbesondere der Islam, sind die exogenen Elemente dieser Identität.
In Europa mag es heute Millionen von muslimischen Mitbürgern geben, denen die europäische Grundidentität, die hier in Erinnerung gerufen, verteidigt und geschützt werden soll, fremd ist. Die historische Wahrheit ist dennoch eine andere: Der Islam und das Judentum waren an der Herausbildung der europäischen Seele beteiligt, durch ihre Wissenschaftler, Philosophen, Architekten, Schriftsteller, Künstler und Händler. Der Islam ist, historisch wie aktuell, eine europäische Religion. Die Absicht des Papstes war es, sie durch das Prisma der Furcht vor der muslimischen Präsenz zu betrachten. Dahinter stand sein Anliegen der missionarischen Stärkung des Christentums im Herzen Europas.
Durch den Filter dieses Prismas engagierte Benedikt XVI. sich auch im interreligösen Dialog. Bei unseren Begegnungen, von denen die letzte 2009 in Rom stattfand, war es nie wirklich möglich, ein Gespräch über theologische Grundlagen zu führen: Die Debatte richtete sich sehr schnell auf die jeweilige Praxis, etwa auf die Behandlung christlicher Minderheiten im Orient. Natürlich muss man darüber diskutieren, denn da gibt es Diskriminierungen, und die Muslime müssen dazu klar Stellung nehmen. Aber das sollte kein Vorwand sein, um eine Debatte über die theologischen Fundamente oder wenigstens über die historische und politische Einordnung unserer Religionen zu vermeiden.
Denn wenn die Rechte der Muslime im säkularisierten Westen eher respektiert werden, dann ist das nicht nur ein Verdienst des Christentums, und wenn Christen in überwiegend muslimischen Gesellschaften diskriminiert werden, dann liegt die Ursache nicht nur in einer bestimmten Auslegung des Islam. Man darf nicht die historischen und politischen Zusammenhänge ignorieren, die über den im strengen Sinne interreligiösen Dialog hinausgehen. Wenn man den Dialog auf missionarische und systemkritische Positionen beschränkt, also auf die Bedrohung des Westens durch den Islam und auf die Widersprüche in überwiegend muslimischen Gesellschaften, dann verfälscht man die Substanz des Dialogs und kann zu einer besseren gegenseitigen Kenntnis, einem fruchtbaren, aktiven, respektvollen und harmonischen Zusammenleben wenig beitragen.
Die Kirchen Europas und des Westens leeren sich zusehends, und das Alter der Gläubigen nimmt zu. Zu hoffen wäre, dass der nächste Papst ein jugendlicher Geist ist, der theologische Seriosität und Kompetenz mit dem Verständnis für die Herausforderungen der Epoche vereint. Dass er eine frohere katholische Botschaft verkündet, die offener ist gegenüber anderen Traditionen und niemals den Dialog vernachlässigt, den gegenseitigen Respekt und das entschiedene Eintreten für Pluralismus und Offenheit des Westens, auch und gerade im Namen des Katholizismus.
Die Anerkennung der inneren und äußeren Vielfalt, also verschiedener christlichen Traditionen wie anderer Religionen, müsste ergänzt werden durch die Eröffnung echter Debatten über Regeln und Praktiken im Inneren der Kirche. Alle religiösen und spirituellen Traditionen sind auf diese Arbeit der Kritik und Selbstkritik angewiesen. Wir brauchen das Engagement eines Papstes, aber auch von Priestern und religiösen Verantwortungsträgern wie Rabbinern und Ulamas, die kompetent, gelassen und mutig genug sind, um die defensive Position aufzugeben. Die wissen, dass ihre vorrangige Aufgabe darin besteht, den Verstand und das Herz nach dem Sinn des Lebens und des Todes zu befragen, nach der Würde der Geschöpfe in ihrer Vielfalt, nach den höchsten Werten und Zielen, die universell sind, weil wir sie alle gemeinsam haben, und denen sich keine Gesellschaft entziehen kann. Die Kirche wartet auf eine solche Botschaft und ein solches Pastorat, wie übrigens alle spirituellen und religiösen Gemeinschaften dieser Erde.
Source: Süddeutsche Zeitung 23-24 Februar 2013